Aus
etwas „seltsamen“ wurde
GUGGEMUSIGG
Die Entwicklung einer fasnächtlichen Besonderheit
(Text von Dominik Wunderlin aus ‚Schweizer Volkskunde’ Heft 6
1985)
Umzüge
mit Lärmgeräten sind im Volksbrauch eine geradezu weltumgreifende
Erscheinung. In unserem Kulturkreis kennen wir Lärmzüge vornehmlich bei
Winter- und Frühlingsbräuchen sowie als Mittel der knabenschaftlichen
Volksjustiz. Unter Begriffen wie „Tschättermusik“, „Katzen-musik“ und
„Charivari“ sind diese improvisierten „Musikgruppen“ in unserem Lande
seit langem bekannt. Die älteren Begriffe werden in unserem Jahrhundert grösstenteils
abgelöst durch das Wort „Guggenmusik“ bei gleichzeitiger Veränderung des
Klangkörpers. Der neue Begriff und mit ihm grösstenteils auch die Sache
scheint sich von Basel aus verbreitet zu haben.
In der Stadt Basel existierte vor dem Auftauchen des Wortes „Guggenmusik“
offensichtlich kein einheitlicher Begriff für eine kakophonisch spielende
Musikgruppe. Für zwei benachbarte Baselbieter Gemeinden ist die
„Katzenmusik“ belegt, wie wir später sehen werden. So wird 1904 aus
Muttenz berichtet: „Von dem hässlichen
‚Morgenstreich’ mit seinem katzenmusikartigen Lärmen war diesmal
nichts zu merken“. Eine nächtliche Katzenmusik veranstalteten 1888 etwa
dreissig Allschwiler Altkatholiken, nachdem ihr Sieg bei den Gemeindewahlen
festgestanden hatte: Sie zogen mit Pechfackeln, Trommeln, Pfannendeckeln und
Kuhglocken lärmend vor jedes römisch-katholische Haus. Es sei nicht
verschwiegen, dass es in der Nacht nach dem Herrenfastnachtssonntag geschah:
Die Instrumente hatte man ja ohnehin in Griffnähe!
Obwohl
dies viele „echte“ Basler Fasnächtler nur mit Mühe glauben wollen, gehören
andere Instrumente als die Trommel und das auch erst im letzten Jahrhundert an
der Fasnacht belegbare Piccolo seit langem zur Basler Fasnacht. Im Basler
Kupferstichkabinett wird eine getuschte Federzeichnung von Niklaus von Riedt
aus dem Jahre 1589 aufbewahrt, die einen Fasnachtsumzug mit einem
Lautenspieler und einem Posaunisten wiedergibt. Wohl noch vor 1800 wurde eine
im Historischen Museum Basel befindliche lavierte Tuschzeichnung angefertigt:
Sie zeigt auf dem Münsterplatz einen Fasnachtsumzug, auf die
Revolutionswirren von 1798 anspielend, und lässt hinter den Tambouren eine
Musikantengruppe mit Instrumenten wie Fagott, Horn, Trompete, Violine und
Pauke erkennen.
Von
einem politischen Fasnachtsulk auf Kosten des Basler Staatsmannes Peter Ochs hören
wir 1803: „Auf dem Petersplatz begrub man unter Waldhornfanfaren einen
Ochsenkopf samt grün-rot-gelben Kokarden und deutete damit symbolisch das
Ende des helvetischen Einheitsstaates an“. Dem Reiseschriftsteller Gottlob
Heinrich Heinse (1766-1812) verdanken wir in seiner ausführlichen Schilderung
des Fasnachtsgeschehens im Jahre1809 die Mitteilung, dass der Zug von einem
„Chor Berghoboistens eröffnet wurde und dass ferner berittene Trompeter
dabei waren“. Wenigstens von Alphörnern ist die Rede bei einem
folkloristischen „Älplerzug“ am Fasnachtsmontag 1812. Die sich in nichts
von damaligen historischen Festumzügen unterscheidenden Fasnachtszüge des
19. Jahrhunderts haben selbstverständlich immer auch Musiken dabei.
Einer
der frühesten Züge ist dargestellt auf einer kolorierten Radierung von 1820
(Historisches Museum Basel), der dem Thema „Brautzug des Grafen Otto von
Thierstein und der Katharina von Klingen anno 1376“ gewidmet war. Das Bild
zeigt unter anderem berittene Fanfarenbläser und eine Musik mit Bläsern und
Streichern auf einem Wagen. Eher fasnächtlich im heutigen Sinn wirkt auf
einer Lithographie von 1845 die kleine Musikgruppe mit Pauke, Becken, Horn und
Schalmei, welche einer Tambourengruppe folgt. Richtige Blechmusiken sind u.a.
bezeugt an den Fasnachtszügen 1835,1841 und 1853, die aber vermutlich seriös
spielten. Wenn wir der bekannten Morgenstreich-Darstellung von Hieronymus Hess
für das Jahr 1843 Glauben schenken dürfen, kamen damals Blechinstrumente,
wohl Fanfaren, zum Ertönen. Aus einem „Karneval-Bericht“ von 1852
erfahren wir Details über „Gruppen, die den Morgenstreich
zusammentrommelten, pfiffen, trompeteten und schrieen“. Unter anderem ist
die Rede von einer „Janitscharen-Musik, gekleidet in Schlafrock und
Zipfelkappe“ mit Trompeten und Pauken, und von „Schnurrantens mit Piccolo
und Bombardon, Kornet und Pauke usw“. Dass gerade Trompeten an der Fasnacht
durchaus üblich waren, zeigen auch zeitgenössische Inserate („Instrumente
für Fastnacht“). Womit an der Basler Fasnacht Lärm erzeugt wurde, zeigt
die ab 1869 in der Presse publizierte „Polizeiliche Bekanntmachung
betreffend die Fastnacht“,wo es unter Artikel 1 heisst:
„Montags
und Mittwochs darf vor 4 Uhr morgens nicht getrommelt und in keiner Weise gelärmt
werden. Ebenso ist Lärm mit Hörnern, Klapperinstrumenten, Geschellen u. dgl.
untersagts“.
Um 1870 lesen wir in den Fasnachtsberichten wiederholt vom nachmittäglichen
Mitwirken einer „humoristischen Zukunftsmusik, die mit ihren Produktionen
die Aufmerksamkeit auf sich zog“. Wie Inserate von Bierwirtschaften der
ganzen Regio zeigen, handelte es sich dabei um eine Musikgruppe, die auch
ausserhalb der Fasnacht u.a. mit „komischen Couplets“ für sonntagnachmittägliche,
„komisch-musikalische Unterhaltung“ besorgt war. Ob wir uns darunter tatsächlich
einen Vorläufer heutiger Guggenmusiken vorstellen dürfen, kann ich nicht
entscheiden. Solange nichts näheres zur Instrumentierung und zum Stil bekannt
wird, gilt dasselbe auch für die vor 1872 existierende „Kontingentenmusik“,
etwa auch „Waschweibermusik“ genannt, eine „musikpflegende
Fastnachts-Clique“, deren Mitglieder zum Teil an der Gründung des Basler
Musikvereins beteiligt waren. Musikvereine und „improvisierte Musiken“. Während
man weiterhin nichts gegen eine Beteiligung von Blasmusiken am Nachmittag
einzuwenden hatte, wie beispielsweise 1874 gegen eine „40 Köpfe zählende
Musik in pruntrutischen Weiberkleidern und kommandiert von einem Kapellmeister
als Abbeal“, so wollte man solche Musiken am Morgenstreich anscheinend
nicht mehr dulden: Etwas Neues war
auch das Auftreten einer Blasmusik. Mehrere gute, echte Basler haben uns
aufgefordert, gegen die Verwendung von Blasinstrumenten am Morgenstreich zu
protestieren, der Morgenstreich sei einzig und allein nur für’s ‚Ruessen’
und nicht für’s Blasen. Dieser Protest dürfte kaum allgemeinen Beifall
gefunden haben: 1884 erfahren wir nämlich, dass das Auftreten einer Blasmusik
am Morgenstreich polizeilich gestattet wurde. In der Folge lesen wir in der
Presse regelmässig von „Musikbanden“ (durchaus nicht abwertend zu
verstehen, sondern als Gegensatz zu den grossen Musikgesellschaften) und von
„improvisierten Musiken“ (auch bezüglich der Instrumentierung?), die am
Morgenstreich teilnahmen.
In
den Zeitungen jener Jahre ist überhaupt eine grosse Aufgeschlossenheit gegenüber
den Blasmusiken festzustellen. Man freute sich über diesen Akzent, der doch
vorwiegend von seriösen, aber kostümierten Kapellen wie Knabenmusik, Jägermusik,
Musikverein Basel, Stadtmusik Konkordia, Musikverein Amicitia, Musikverein
Horburg, Musikverein Vorwärts, Musikverein Oberwil und Metallharmonie
Binningen gesetzt wurde, die
jenach ihrem Sujet als „Maurenmusik“, „Basler Zukunfts-Damenkapelle“,
„Dragoner-Regimentsmusik“, „Amazonenkapelle“ oder „Sträflingskapelle“
daherkamen.
1880
schrieb der Korrespondent vom Montagszug: „Doch was hören wir? Musik! - Ist
es möglich, an der Basler Fastnacht noch ein anderes Instrument zu
kultivieren als das edle Trommelfell? In recht verdankenswerter Weise hatte
die Kommission der Knabenmusik ihre jüngeren Musiker versammelt, und
dieselben zogen wohlgeordnet und
gut diszipliniert, ihre gefälligen Märsche blasend und schlagend auf...“
Im Zusammenhang mit der bis zum heutigen Tag nicht verstummten Diskussion um
die Organisation der Nachmittagszüge wird 1883 in einem „Eingesandt“ der
Vorschlag gemacht, die Tambourengruppen sollten zugunsten der Musiken zurücktreten.
Im
darauffolgenden Jahr wird eine „Musikbande“, die Ständchen brachte und
den Zapfenstreich kopierte, als „gelungene Abwechslung“ taxiert, und 1885
hält der Zeitungsschreiber fest: „Eine neue Fastnachtsleistung scheint
immer mehr aufzukommen und trägt zur Verschönerung bei, nämlich
Musikproduktionen...“. Da kann es dann nicht mehr weiter verwundern, wenn
1887 im „Briefkasten“ der Zeitung der Wunsch nach einer Prämierung
„humoristischer Musiken“ geäussert wurde. Was
damals unter „humoristisch“ bereits zu verstehen war, vermögen wir
aus heutiger Warte nicht mehr leicht zu deuten. Wohl immer noch ein guter Gag
(aber beileibe nicht am Morgenstreich!) wäre die Kombination von fünf
Trommeln und einem Waldhorn.
Dieses
kam 1898 immer dann mit der Melodie „Frühmorgens, wenn die Hähne krähn...“
zum Einsatz, wenn die Gruppe eine Stelle in der innern Stadt passierte, wo ein
Trommelverbot bestand. Die ersten
Guggenmusiken kommen.
Für
die Zeit um die Jahrhundertwende darf die Existenz von Guggenmusiken als
sicher angenommen werden, wenn wir beispielsweise 1902 vernehmen, dass die
„Wasserwerkler-Musik“ am Mittwochnachmittag „grosse Heiterkeit“
erzeugte und im Jahr danach eine „Tiroler Damenkapelle“ und weitere
„kostümierte Musikabteilungen fleissig ihre lustigen Weisen ertönen
liessen“. Das Wort „Guggenmusik“ begegnet uns das erste Mal 1906 im
„Verzeichnis der Fastnachtszüge“ neben zehn anderen Musiken: Eine „Guggenmusik“
spielte als Sujet die Deutschlandreise der „verkrachten“ Stadtmusik
Concordia aus. Ob sich hinter der Gruppenbezeichnung
„Krachauers“ auf derselben Liste eine weitere Guggenmusik
versteckt, konnten wir nicht herausfinden. Zum Mittwoch-Morgenstreich wurde übrigens
in der Presse gemeldet: „An
neuen Zügen traten, so viel wir bemerken konnten, eine originelle Katzenmusik
auf und ein nicht minder origineller Mandolinenklub“.
1907
sah der Berichterstatter am Morgenstreich „einen Trupp Bremer
Stadtmusikanten, die auf ihren Instrumenten ein Geräusch erzeugten, das
‚Stein erweichen, Menschen rasend machen
kann’...“. Vom Montagnachmittag wird dann gemeldet: „Von den einzelnen
Wagen, welche durch die Strassen zogen, riefen besondere Heiterkeit hervor die
‚Saharet’ der Guggenmusik“; ihr Fasnachtszettel hat sich
erhalten.
Beim
Umzug vom Mittwochnachmittag ist ausserdem von einer „Trost-Clique“ die
Rede, einem Musikkorps in Trauerkleidung, welche das Fernbleiben der Basler
Musikvereine ausspielte, die wegen der offensichtlich nicht übergrossen
Subvention nicht mitzumachen gewillt waren. Die Clique spielte den
Trauermarsch von Chopin „grotesk“. Am Morgenstreich 1908 „lässt eine
Blechmusik ihre zum Himmel schreienden Weisen erschallen und kaum fünf
Schritte weiter lässt es einem die richtige ‚Tschinnerättemusik’ durch
Mark und Bein fahren“. Zwischen 1911 und 1914 nahm regelmässig die
„Alt-Guggenmusik Horburg“ an den vom Comite (gegr. 1910)
organisierten und subventionierten Umzügen teil. Diese Guggenmusik setzte
sich möglicherweise aus Mitgliedern des Musikvereins Horburg
(Industriequartier in Kleinbasel) zusammen. Für 1913 entnehmen wir dem
offiziellen Führer des Fasnachts-Comites, dass auch eine weitere Guggenmusik
mit dem Sujet „Waggismusik“ gemeldet war.
An
die Beteiligung von Guggenmusiken am Morgenstreich von 1914, dem letzten für
mehrere Jahre, kann sich ein alter Fasnächtler noch gut erinnern: „D Melody
hesch miesse verroote“.
Fasnächtiches und Unfasnächtliches
In
den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sind Guggenmusiken zwar bald wieder
unterwegs, doch offensichtlich eher am Morgenstreich und an den Abenden. Von
„Unbaslerischem am Morgenstreich“ lesen wir 1923 im „Briefkasten
des Publikums“: „In den Restaurationen der innern Stadt trieb sich eine
richtige ‚Guggenmusik’ herum,
die da und dort ein Stücklein spielte und dann mit dem Hut einsammeln
ging“, was der Einsender als“Unzeug“ betrachtete und zu „energischem
Protest“ veranlasste. Aber mit den Musiken am Morgenstreich war es nicht
mehr grossartig bestellt. Obwohl noch im Vorjahr „einige kleinere ‚Guggenmusige’
den Tumult erhöhten“, schreibt 1931 ein Einsender in den „Basler
Nachrichten“:
„Zu
wünschen wäre auch noch eine Wiederbelebung des Morgenstreichs durch
Musikkorps, wie auch dies noch vor dem Kriege der Fall war. Es brauchen gar
keine richtigen Musikkorps zu sein, einige wenige wirkliche Instrumente genügen,
das übrige wird durch Lärm und Rhythmus ersetzt und erzielt vollkommen die
gewünschte Wirkung. Solche
Gruppen und Grüpplein würden den ganzen Betrieb günstig beeinflussen. Das
Fasnachtscomite des Quodlibet unterstützte denn auch speziell solch belebende
Gruppen am Morgenstreich, wenn auch meistens nur in ‚Natura’, was aber
doch willkommen war“.
1934
meldet dann ein Journalist vom Morgenstreich: „... da rasselte rücklings,
nach alter Väter Sitte auf dem Trottoir, die erste Guggemusik mit ohrenbetörendem
Getschätter vorbei. Das gibt es also wieder? Bravo!“ Auch in den folgenden
noch bis zum Kriegsausbruch verbleibenden Jahren begegnen wir ständig
Erwähnungen von Guggenmusiken (allerdings mit wechselnden
Bezeichnungen), die „mit schmetterndem Getöse nahen“, „bäumig schränzen“
und „vorüber rasseln“.
Doch
die Guggenmusiken, unter den durchschnittlich acht zwischen 1911 und 1939
subventionierten Musikgruppen sicher die Minderheit, sorgten für Veränderung
des fasnächtlichen
Musik-Geschmacks: „Könnte nicht auch die musikalische Belebung der Banden
baslerischer und fasnächtlicher um- und ausgestaltet werden? Der Aufmachung
einzelner Musikgruppen fehlte am gestrigen Nachmittag auch wirklich jeder
Hauch fasnächtlichen Geistes! Sollte
die Anpassung tatsächlich so schwierig sein?
Wir glauben nicht. Sicherlich dürfen die Musikgruppen in Zukunft nicht mehr
solche Fremdkörper im Bild unseres Fasnachtsbildes darstellen, wie dies
gestern teilweise der Fall war“. Damit waren selbstverständlich jene
Musikvereine gemeint, die nach Noten spielten und - wie Photos der dreissiger
Jahre zeigen - auch von der Kostümierung
her nicht besonders originell die Umzugsroute abschritten. Statt sich nach
obigem Wunsch fasnächtlicher zu geben, distanzierten sich die Musikvereine
von einer Teilnahme an der Fasnacht, weil „die Guggenmusiken immer mehr überhand
nahmen“.
Und 1946 geht es dann los:
Auch
an den „Konservenfasnachten“ 1940-1945 (ohne Strassenfasnacht) waren die
Guggenmusiken zu hören - allerdings bloss in geschlossenen Räumen, in
Wirtschaften, an Bällen und auch am „Monstre-Trommel-Konzert“.
Diese seit 1906 bestehende Vorfasnachtsveranstaltung wurde bereits 1909 durch
den Vortrag einer Blasmusik (Musikverein Amicitia) mitgestaltet, was sich später
(z.B. 1918) wiederholte. Bald nach der Gründung der „Jeisy
Migger-Guggenmuusig“ nach der Fasnacht 1926 war auch der Auftritt dieser
Guggenmusik während über 25 Jahren ein fester, wenn auch nicht im Programm
figurierender Bestandteil des „Monstre“ im
„Küchlin-Theater“. Nur ein einziges Mal - an der ersten
Nachkriegsfasnacht 1946 - machten sie auch an den Umzügen von Montag und
Mittwoch mit. Insgesamt sieben Musikgruppen
- nun alles Guggenmusiken - waren für diese Fasnacht beim Comite gemeldet.
Sie trugen Namen wie „Dreiroserampe-Schränzer-Guggemusig“, „Chnullerifurzguggerabbsi“,
„Schluch-und Guggemusig Breiti“ (auf einem Auto) und „Studio
Neubad-Guggemusig“.
In
den folgenden Jahren erscheinen immer mehr Guggenmusiken in den Verzeichnissen
des Fasnachts-Comites. Zunächst teilweise noch mit wechselnden Bezeichnungen
wie beispielsweise die „Schotten-Clique“ (gegr. 1947), die über
„Hirschenegg-Schotte“, „Hirschenegg-Clique“ und „Schotteclique
Hirschenegg“ zu ihrem heutigen Namen fand. Wie das Guggenmusikwesen in Basel
sich seit 1946 entwickelt hat, zeigen diese wenigen Zahlen, welche nur die
beim Comite gemeldeten Gruppen berücksichtigen:
1946: 7 Guggenmusiken
1956: 13 Guggenmusiken
1966: 24 Guggenmusiken
1976:
38 Guggenmusiken
1985:
67 Guggenmusiken
1995:
70 Guggenmusiken
Nicht
erst die heutige Zahl von Guggenmusiken hat bei Fasnachtspuristen und hier nicht
nur bei Pfeifern und Trommlern - immer wieder zu bösen Äusserungen Anlass
gegeben. Heftig wurden die Diskussionen pro und contra Guggenmusik um 1960, als
immer lauter ihre Teilnahme am Morgenstreich in Frage gestellt wurde. 1962 wurde
der Morgenstreich erstmals ohne Guggenmusiken durchgeführt. Im Gegenzug
versprachen die Trommler- und Pfeifer-Cliquen, inskünftig am Dienstagabend während
einiger Stunden das Gebiet zwischen Marktplatz und Barfüsserplatz nicht
musizierend zu betreten. Dann nämlich gehört das Stadtzentrum, namentlich die
Plätze und breiteren Strassen, vollständig den Guggenmusiken mit ihren Paraden
und Platzkonzerten. Damit haben sie nicht einmal etwas verdrängt, war der
Dienstag doch bis vor wenigen Jahren ein eigentlicher Ruhetag im Basler
Fasnachtsleben. Das Geschehen beschränkte sich auf den Besuch der
Laternenausstellung, auf die Kinderfasnacht und etwas Saalfasnacht. Dieses
Vakuum nutzten nun die Guggenmusiken aus. Ihr „Feldzug gegen die
stillbeschauliche Fasnachtsdienstagsruhe“ führte erstaunlich rasch zum Erfolg
und machte den Dienstag auch zum „Guggezyschtig“. Die Anfänge dürften in
die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen. Es ist nämlich bekannt, dass
die schon erwähnte „Jeisy Migger-Guggemuusig“ jeweils nur am Dienstag in
Erscheinung trat. Der Grund war einfach: Die Musik, gegründet und geleitet vom
Wirt Emil Jeisi, dem langjährigen
Pfeiferchef der Fasnachtsclique „Alti Steinlemer“, konnte nur am Dienstag
musizieren, weil die Mitglieder am Montag und Mittwoch trommelten
und pfiffen. Vorwiegend Kameraden der Cliquen „Alti Schnooggekerzli“
und „Schnooggekerzli“ fanden sich in der 1946 gegründeten „46er
Guggemuusig“ zusammen, die ebenfalls nur am Dienstagabend konzertierte und es
noch heute so hält. Die aus prominenten Kreisen, aus Geschäftsleuten und
Beamten bis hin zum jetzigen Obmann des Fasnachts-Comites zusammengewürfelte
Guggenmusik hatte in ihren besten Zeiten bis gegen hundert Mitglieder, die alle
im „Charivari“ (individuelle Kostümierung) und mit eigener Plakette
auftraten. In der Mitte des Zuges marschierte eine „Kammerorchester“
genannte Gruppe als Melodienbläser mit; es waren zumeist Mitglieder von Jazz-
und Unterhaltungsorchestern, aber etwa auch Teile der Knabenmusik oder einer
Dorfmusik, die man für diesen Zweck engagierte. Sie waren 1948 die erste
Guggenmusik, die neben ihrem Zug durch die Stadt auf dem Marktplatz ein
Platzkonzert gaben.
Einmal
führten sie auch ein Harmonium mit sich, das sie nachher in den Rhein warfen,
was ihnen eine Busse von 150 Franken eintrug. Dem Umzug folgte anschliessend im
Hotel Drei Könige (seit einigen Jahren in der Safranzunft) der „Guggeball“,
ein Maskenball mit Wahl der „Jumpfere Gugge“ (Maskenprämierung). Dem
Beispiel der „46er Guggemuusig“ folgten andere Guggenmusiken, indem sie am
Dienstagabend ebenfalls Platzkonzerte gaben. Der Berichterstatter meldet
1950 von Menschenmassen, die von den Darbietungen auf dem Barfüsserplatz nicht
genug bekommen konnten. 1952 verfügte die Polizei erstmals eine
Innerstadt-Sperrung für den gesamten Fahrverkehr (mit Ausnahme des Trams), und
ab 1954 wird auch der Tramverkehr für die Dauer des Konzertes (ab 20.15 Uhr)
umgeleitet. Inzwischen konstituierte sich am 19. Februar 1951 die Gugge-lG, die
Interessengemeinschaft fasnächtlicher Guggenmusiken, um gemeinsame Interessen
der neun damals bestehenden Guggenmusiken besser zu vertreten. Dazu gehörte
etwa das Problem der Bettelei von Guggenmusikanten, aber auch das damals
bestehende Verbot eines Musizierens in der Stadt nach der Rückkehr vom nach
Fasnächtlichen Bummel.
Letzteres
wurde als Diskriminierung gegenüber den Trommler- und Pfeifer-Cliquen
aufgefasst. Man organisierte deswegen einen Protestzug mit Trauerflor an den
Blasinstrumenten und mit Schlaginstrumenten aller Arten, da ja Trommeln
gestattet war. Nachdem den Guggenmusiken später ein „Schränzen“ am 1. und
2. Bummelsonntag zugestanden wurde, erlaubte man ihnen ab 1962 das Musizieren
auch am 3. und letzten Bummelsonntag. Die Guggenmusiken brachten es fertig, den
Dienstag zu einem vollwertigen dritten Fasnachtstag werden zu lassen. Bereits
1959 wurde bemerkt, dass am Dienstagabend mehr Leute in der Stadt seien als am
Montagabend, und 1960 festgehalten, dass am Dienstagabend auffallenderweise auch
immer mehr Trommler und Pfeifer „auf die Gasse kommen“. Im Jahr
darauf befürchtete ein Journalist
sogar die Entstehung eines dritten Umzugtages, so: „dass wir dann noch ein
drittes Mal fünf Stunden lang am Steinebärg
d’Bai in Buuch yne stoh mien! Nai!
Merci! (...am
Steineberg die Beine in den Bauch stehen müssen! Nein! Danke!)“
Jüngst war der Vorschlag, am Dienstagnachmittag einen Cortege der Guggen zu
schaffen, um so die beiden anderen Tage annähernd
„guggenfrei“ zu halten, wieder in einem Leserbrief zu lesen.
Die
Guggenmusiken zeichnen sich durch ihr Bemühen aus, Neues in die Basler Fasnacht
einzubringen. Beim „Guggezyschtig“ war die kluge Bereitschaft, ein
Platzkonzert als Neuerung zu tolerieren, vorhanden. Ebenso hat niemand etwas
einzuwenden gegen ein „Kinder-Guggenkonzert“ mit Mini-Cortege, das seit
wenigen Jahren von einer Guggenmusik organisiert wird. Als „neie Mänz“
(Flausen), „well’s der gueti Basler steert“ (stört), bezeichnete
das Fasnachts-Comite den Versuch der Gugge-IG, am Donnerstagmorgen die Fasnacht
in ein „Cachot“ (Gefängnis) zusperren. In einer Replik wollte die „Basler
Gugge-Zunft“ von dieser Kritik allerdings nichts wissen, da dieser
Fasnachtsabschluss beim Volk gut angekommen sei. Sie laden das Comite ein, sich
im nächsten Jahr selber davon zu überzeugen. Trotzdem hören wir später
nichts mehr von dieser Art „Fasnachtsbeerdigung“ .
Der
Begriff taucht erstmals 1906 auf. Er scheint damals sofort verstanden worden zu
sein, denn niemand stellte die Frage, was denn eine Guggenmusik wirklich sei und
- vor allem - was eine „Gugge“ mit der Musik zu tun habe. In Basel und im
benachbarten Südbaden versteht man nämlich darunter einen „Briefsack“,
eine Papiertüte. Sie hatte früher
meist eine konische Form und erinnert an ein Blashorns. Haben die ersten
Guggenmusikanten in Papiertüten geblasen? Der Journalist Hans Schneider, in der
deutschen Nachbarschaft von Basel aufgewachsen, meinte in einer Kolumne, dass
das Wort daher komme, „wilme als Chinder gärn in Gugge blose het“.
Dass man damit einen Lärmerzeugen kann, zeigte vor einigen Jahren die „46er
Guggemuusig“ als Gag auf ihrem Dienstagszug. Ist wegen dieser Art von
Instrumenten oft auch die Rede von „improvisierten Musiken“? Dass
Guggenmusikanten als Geräuscherzeuger oft die unglaublichsten Dinge verwenden,
dürfte bekannt sein.
Merkwürdige
Geräte muss auch jene Musik 1932 verwendet haben, von der es heisst, man habe
„mindestens eine Hupe deutlich“ herausgehört. Während am Morgenstreich
1938 Guggenmusiken gesehen wurden, die „nicht nur mit Kartoninstrumenten“
bestückt waren, lesen wir 1953 in einer Reportage: „Wenn mand’ Guggemuusig
Pumperniggel aufmerksam betrachtet, so ist man über die ungewöhnliche
Instrumentierung erstaunt ... Blech, nichts als Blech, sogar verbogenes“! Es
sei auch erwähnt, dass man den Diminutiv
von „Gugge“, also „Güggli“, in Liestal für ein schlecht tönendes
Kindertrompetchen kennt, wie man sie z.B. auf dem Markt kaufen kann. Als „Güggi“
wird im Baselbiet ausserdem ein „Schreihals, Lärmer; schlechter Trompeter“
bezeichnet. In einer anderen Richtung zielt die Namendeutung von Hans Dürst,
der eine einstige Maskierung der Musik mit bemalten Papiertüten vermutete. Eine
Herleitung von dieser Vermummungsform, die bei der Kinderfasnacht noch heute
lebendig ist, wäre durchaus denkbar, etwa im Falle, dass die erste Guggenmusik
so aufgetreten ist und dann den Namen, aber nicht die Sache beibehalten hat.
Persönlich neige ich jedoch zur Auffassung, dass die Instrumentierung der Musik
zu ihrem Namen verholfen hat.
Wie
eine Guggenmusik genau, d. h. wie „falsch“ sie zu spielen hat, ist eine
Frage, bei der die Meinungen nicht nur zwischen Basel und den andern „Guggenhochburgen“
unseres Landes, sondern auch in Basel seit langem auseinandergehen.
Je
eine weitere Guggenmusik wurde ins Leben gerufen durch Stammgäste einer
Wirtschaft, durch Schulkollegen und durch Quartierkollegen, während vier
anderen Guggenmusiken von Sportvereinen resp. einer Pfadfinderabteilung gegründet
wurden. Einmal werden auch „einige handfeste Glaibasler Fasnächtler“
genannt.
Zwei
Musiken entstanden durch Abspaltung, und eine setzte sich schliesslich aus
Leuten zusammen, die vor allem auf dem Inseratenweg gesucht worden waren. Von
diesen 13 Guggenmusiken dürfen zwei auf eine Entstehung vor dem Zweiten
Weltkrieg zurückblicken: „Negro-Rhygass“ (1927, neu gegr. 1948 und 1958;
immer gleicher Initiant) und „Orginal-Chnulleri“
(1936). Die Entstehungsgeschichten dieser IG-Guggenmusiken zeigen ungefähr alle
klassischen Fälle. Bezüglich der Integration von Zuzügern spielen die
Guggenmusiken keine unwesentliche Rolle. Der Beitritt zu einer Guggenmusik ermöglicht
ihnen, sofern sie nicht Trommel und Piccolo spielen können, aktiv an der
Fasnacht teilzunehmen. Wohl eher als bei Cliquen dürfen auch beide Geschlechter
in der gleichen Musik mitmachen und den „Plausch“ haben.
Basel als Innovationszentrum
Wie
wir gesehen haben, sind für Basel Guggenmusiken bereits um 1900 bezeugt. Die
Stadt am Rheinknie ist also Ursprungsort der „Guggenmusik-bewegung“, die
inzwischen Landes- und Sprachgrenzen überschritten hat. Allerdings wurden
teilweise auch andere Lärmformationen mit der jüngeren Guggenmusik
verschmolzen oder leben in Koexistenz mit ihr. Es soll hier nicht noch eine
Geschichte des Guggenmusikwesens des ganzen Landes angeregt werden. Immerhin sei
darauf hingewiesen, dass z.B. in Luzern, Zürich und Solothurn direkt und/oder
indirekt Basler Guggenmusiken imitiert wurden. In Luzem, wo 1948 eine Basler
Formation am Fritschi-Umzug teilnahm, wurde noch an der gleichen Fasnacht eine
Gruppe auf Initiative des in Luzern wohnhaften Baslers Sepp Ebinger gegründet.
Diese
Musik nahm im Jahr darauf an der Zürcher Fasnacht teil, wo bereits 1948 durch
zwei Basler Originale, Lucca und Wiesely, eine Guggenmusik improvisiert worden
war. In Solothurn schliesslich, wo eine „Chesslete“ schon lange den
Fasnachtsbeginn bildet, liess sich 1949 der Obmann einer Fasnachtszunft an der
Basler Fasnacht inspirieren und gründete mit den Zunftmitgliedern kurz darauf
die erste Solothurner Guggenmusik. Auch diese und selbstverständlich noch
weitere Orte wurden rasch zu Innovationszentren, vornehmlich für ihre jeweilige
Region. Durch die rege Reisetätigkeit, verbunden mit der Teilnahme an auswärtigen
Fasnachtsveranstaltungen, ist die Guggenmusik als fasnächtliche
Unterhaltungsform längst in allen umliegenden Staaten bekannt und beliebt und
findet sogar Nachahmung, wie die 1975 in Offenburg gegründete
Guggenmusik beweist.